Leitung: Angelika Relin

Hans Krebs über Veit Relin - ein Feuilleton

Zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde von Sommerhausen am 15. Dezember 2006

von Hans Krebs



Ende Oktober ging das Telefon. Am anderen Ende Angelika Relin. Sie habe mir etwas mitzuteilen. Ich dachte: “Um Himmels willen, es wird doch nichts passiert sein!“


Es war etwas passiert, aber zu meiner Erleichterung etwas Gutes.


Ich hörte: „Der Veit wird Ehrenbürger von Sommerhausen“, und sagte: “Ist er das nicht längst?“


Mir fiel die Geschichte von Harold Pinter und der britischen Fernseh-Moderatorin ein: Die hatte eine Notiz mit Pinters Namen gereicht bekommen und vorschnell geschlossen und gemeldet, Pinter sei in die ewigen Jagdgründe der Theaterautoren eingegangen. In Wahrheit war ihm endlich der Literatur-Nobelpreis zuerkannt worden, als dessen Kandidat er seit langem galt.


Das war Harold Pinter, wie er es selbst nicht besser erfinden könnte, im vorigen Jahr.


Veit Relin ist in diesem Jahr.


Dem Sportsfreund  Relin sei in Erinnerung gerufen, dass er nicht entfernt so schnell ist wie Michael Schumacher und dass dieser trotzdem nicht Ehrenbürger seiner Heimatstadt Kerpen wird. Die vergebe keine Ehrenbürgerwürde, beschied der Kerpener Stadtrat unlängst dem Schumacher-Fanclub, und damit basta!


Sie, verehrter Veit Relin, sind gar kein Sommerhäuser, nicht einmal ein Franke, sind stammesfremd ein Oberösterreicher – und heute doch Ehrenbürger Sommerhausens.


Aber Sie, der Sie in der Entgegennahme von Staatspreisen, Verdienstorden, Verdienstmedaillen nicht ungeübt sind, haben auch wahrlich das Ihre dafür getan.


Sie haben das Ihre getan für einen viel zu vergessenen bekennenden Franken – ich meine den von den Nazis verfemten, in die Emigration geflohenen Schriftsteller Leonhard Frank; ebenso für einen großartigen fränkischen Zeitgenossen – ich mein den Autor Fitzgerald Kusz.


Sie tun das Ihre für eine besonders sympathische Fränkin – ich meine Ihre Frau Angelika Relin.


Allerdings legen Sie Ihre Nähe zu anderen Damen, und zwar nicht nur aus Franken, unverblümt offen und geben sich dann völlig unschuldig, indem Sie behaupten, irgendwer aus dem fernen Japan sei es gewesen. Wörtlich: “Das Japanpapier frisst sinnlich meine Tusche.“


Wer Ihnen als Akt entkommt, entgeht Ihnen noch lange nicht als Porträt. Ich weiß nicht, ob Sie noch alle kennen, die Sie porträtiert haben. Aber alle Porträtierten kennen Sie.


Wolle Gott, dass es keiner und keinem von ihnen so ergehe, wie es etlichen von denen ergangen ist, die Hans Holbein der Jüngere porträtiert hat – wie Anna Boleyn (der Mutter von Königin Elisabeth I.) oder den Lordkanzlern Thomas Cromwell und Sir Thomas More, die alle gewaltsam um ihr Leben gebracht wurden.


Ich verfalle darauf, weil Hans Holbein der Jüngere, der Malerstar am Londoner Hof des gewaltsamen achten Heinrich, aus Augsburg stammte und auch ich aus Augsburg komme. Aber ich bin nicht etwa Nachfahre von Thomas Krebs, dem Baumeister der Fuggerei als der Welt ältester Sozialsiedlung, sondern ein Kind des „Kohlenpotts“, wie das Ruhrgebiet früher zu Recht genannt wurde.

In Augsburg hat mich die „Augsburger Allgemeine“ an sich und ihr Feuilleton gebunden. Sie steht bei großzügiger Auslegung in der Nachfolge der „Allgemeinen Zeitung“, für die Heinrich Heine von Paris nach Augsburg korrespondiert hat.


Heine ist bewundernswert. Ein Jammer, dass er nichts für die Bühne, also auch nichts fürs Torturmtheater geschrieben hat. Das war nicht sein Metier. Das Theatergenie Shakespeare erschien ihm wie ein „allgewaltiger Minister“ und er sich selbst wie ein „bloßer Hofrat“. „Und es ist mir“, befand er, „als ob er mich jeden Augenblick absetzen könnte.“


Veit Relin kann nur sich selbst absetzen. Was er im Torturm die Jahrzehnte hindurch auf die Bühne gestellt hat, verdient in der Tat den „nicht enden wollenden Beifall“.


Dabei ist die Bühne klein – so klein, dass beispielsweise der Berliner Kanzlerschreibtisch mit seinen vier Metern Länge kaum Platz fände.


Der Vergleich ist so abwegig nicht, geht doch von beiden nachhaltige Wirkung aus: vom Kanzlerschreibtisch in der Berlin Machtzentrale (wenngleich Angela Merkel lieber am seitlichen Besprechungstisch des Kanzlerbüros arbeitet) ebenso wie von der Theaterbühne des Sommerhäuser Torturms (wenngleich Veit Relin nicht weniger lieb in seinem Atelier schafft).


Indes wird niemand am Kanzlerschreibtisch das Dienstalter dieses Torturm-Prinzipals erreichen. Und in der Summe von 30 Sommerhäuser Jahren zählt dessen Wirkung eben nicht nach Legislaturperioden.


Etwa zwei Drittel der bislang 122 – ich wiederhole: 122 – Inszenierungen waren Erst- und Uraufführungen, was auch Blutzufuhr für andere Bühnen bedeutet, Blutzufuhr ebenso durch andere Entdeckungen und Wiederentdeckungen Relins.


Der Torturm-Theatergänger darf sich auf dem Laufenden fühlen. Wenn er etwa in den Feuilletons der letzten Wochen groß von Neil LaButes „Some Girl(s)“ als deutscher Erstaufführung am Wiener Burgtheater las oder von Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“ als Uraufführung am Schauspielhaus Zürich, so durfte er sich erinnern:


Neil LaBute? Richtig, den habe ich mit „Tag der Gnade“ im Torturm erlebt.


Yasmina Reza? Richtig, die war ebenfalls dort – mit der Persiflage „Kunst“.


Ja, Veit Relin hat die perfiden Bloßstellungen der beiden aus den USA und Frankreich in der am Sonntag endenden Jubiläumssaison vor Augen geführt.


Das Beispiel steht stellvertretend für den theatralen Entdeckungskurs, den der unglaublich 80-Jährige bis zu dieser 30. Spielzeit durchgehalten hat.


Künstler seines Kalibers können nicht hoch genug gehalten werden, damit das Publikum im infektiösen Einschaltquoten-Fieber des Fernsehens nicht alle geistigen Kauwerkzeuge einbüßt.


In Erlangen saßen unlängst Theater- und Medienwissenschaftler beisammen. Sie gaben als Empfehlung aus, dass die Bühne vor allem den Reiz des Live-Erlebnisses gegenüber den visuellen Massenmedien ausspielen müsse.


Wer wüsste das besser als ein in Film und Fernsehen gleichermaßen erfolgreicher Theatermann wie Veit Relin?


Wenn ein Theater so klein ist wie seines (mit gut 50 Zuschauerplätzen vielleicht Deutschlands kleinstes), so bietet er um so bewusster Theater hautnah und geht dabei nicht den Weg des geringen oder gar geringsten Widerstandes.


Es wäre einfach, den Besuchern zur mainfränkischen Weinprobe lockere Späße zu kredenzen. Viele mögen das auch erwarten. Und es ist auch wenig gegen eine solche Verköstigung einzuwenden.


Der Torturm steht nicht dafür. Er bewahrt Tiefe, ohne dass damit etwa intellektueller Bußgang verbunden wäre. Das macht ihn zu einem kleinen Monument – und seinen Tortürmer Veit Relin gleich mit.


Er selektiert, lektoriert, korrespondiert, dramatisiert, arrangiert, inszeniert, interpretiert, illustriert, avisiert…


Und damit ist noch längst nicht alles gesagt. Am ehesten könnte Angelika Relin kraft eigenen Dazutuns diese Liste vervollständigen – unter Beihilfe eines guten Geistes, wie er, wenn auch selten, in alten Gemäuern anzutreffen ist. In diesem Fall hat er sogar einen bürgerlichen Namen, heißt Hannelore Kaufhold, doch alle Welt spricht liebevoll nur von „Lörchen“.


Damit ist eigentlich alles gesagt.


Gibt es noch einen Ratschlag?


Veit Relins amerikanischer Schauspiel-Kollege Al Pacino bemerkt in einem 1997er Film: „Der schlimmste Schlag ist der Ratschlag!“ Also lassen wir das.


Ein Wunsch?


Veit Relin spricht gerne davon, wie er als Leiter des von ihm 1960 in Wien gegründeten „Ateliertheaters am Naschmarkt“ mit dem anarchischen „Baal“ den Brecht-Bann in Österreich gebrochen hat, wie er dort im Bühnenbild Oskar Kokoschkas dessen „Orpheus und Eurydike“ inszeniert und Pablo Picassos „Wie man Wünsche beim Schwanz packt“ in der Übersetzung von Paul Celan uraufgeführt hat.


Noch einmal oder weitere Male eine derartige Personalunion von Bildkunst und Theaterkunst auf der Bühne, vielleicht sogar aus eigener Hand – wäre das ein Wunsch?


Oder eine Harpune zum weiteren harpunieren von Leckerbissen im oft brackigen Wasser neuer Theaterliteratur?


Geradezu programmatisch trug das Stück, mit dessen deutscher Erstaufführung Sie Ihre Torturm-Ära begannen, den Titel „Wie man den Haifisch harpuniert“ (von Victor Haim).


Heutzutage wäre man schon mit kleineren Fischen zufrieden.


Es steht das Jahr 2007 an, damit Ihre erste Ehrenbürger-Spielzeit. Tausend Dank voraus fürs Kommende und Dank hoch tausend fürs Vergangene!


Es hat bereichert.

Feuilleton

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